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Demokratische Siegeswelle in den USAJetzt keine falschen Schlüsse ziehen

Bernd Pickert

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Bernd Pickert

Anti-Trump-Voten haben den US-Wahltag bestimmt. Zohran Mamdani zeigt: Es braucht auch eine Vision einer besseren Welt, um von links zu überzeugen.

Die demokratische Gouverneurs-kandidatin von Virginia, Abigail Spanberger, feiert am 04.11. mit ihren Töchtern ihren Wahlerfolg Foto: Bonnie Cash/imago

D as war ein Wahltag in den USA, der es in sich hatte. Eine derartige Abstrafung eines amtierenden Präsidenten an den Wahlurnen gibt es nicht häufig. Republikanische Kan­di­da­t*in­nen und Vorschläge verloren im ganzen Land und auf allen Ebenen – ob es nun um die neben der New-York-Wahl viel beachteten Gouverneursposten in New Jersey und Virginia ging oder um Kommunalwahlen, Richterwahlen oder die Neubestimmung von Staatsanwälten: Anti-Trump-Voten haben den Wahltag bestimmt.

Für die händeringend nach Konzepten, Programmatik und neuen Führungsfiguren suchenden De­mo­kra­t*in­nen ist dieser massive Erfolg allerdings schwer zu interpretieren – und verleitet womöglich sogar zu krassen Fehleinschätzungen. Denn gerade weil sowohl Linke wie Zohran Mamdani in New York als auch zentristische Figuren wie Abigail Spanberger und Mikie Sherrill in Virginia und New Jersey haushohe Siege einfuhren, könnte sich das Gefühl einschleichen, einfach gegen Trump zu sein, könnte auch bei zukünftigen Wahlen ausreichen.

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Gepaart mit der Binsenweisheit, dass bei den Zwischenwahlen ohnehin immer die Partei Zugewinne einfährt, die gerade nicht das Weiße Haus besetzt, könnte jene lähmende Politikverwaltung die Oberhand behalten, wie sie Chuck Schumer vorführt, der demokratische Minderheitsführer im Senat. Das wäre absolut fatal.

Die Wahlen von 2016 und 2024 zeigen, was passiert, wenn die Demokraten im Angesicht von Trumps brutalem Überfall auf Gesetze und Institutionen nicht nur den Rechtsstaat verteidigen, sondern den gesamten Status quo, der für einen bedeutenden Teil der Bevölkerung schlecht ist.

Auf die eigene Agenda kommt es an

Und das ist tatsächlich die Hoffnung, die Mamdanis Wahlsieg mit sich bringt. Der 34-Jährige hat sich zwar klar gegen Trump positioniert, aber er hat sich nicht darauf beschränkt, sondern er hat mit dem Oberthema Bezahlbarkeit der Stadt und ein paar konkreten Vorschlägen zu Mieten, ÖPNV und Kinderbetreuung eine eigene, nach vorne gerichtete Agenda gesetzt.

Ob er damit zum Vorbild für andere demokratische Kan­di­da­t*in­nen werden kann, womöglich gar auf Bundesebene, wird aber davon abhängen, was er ab seinem Amtsantritt am 1. Januar tatsächlich auf die Reihe bringt. Hat er Erfolg, verliert sich die Angst vor dem „Sozialisten“. Mutiert er vom Hoffnungsträger zur großen Enttäuschung, scheitert mit ihm die progressive Linke auch überall woanders.

Die neuen Wahl­sie­ge­r*in­nen haben die Chance, jetzt ihrerseits die Agenda zu bestimmen und das nicht ausschließlich Trump zu überlassen. Sie müssen mit schärfstem Gegenwind aus dem Weißen Haus rechnen, bis hin zu Rechtsbrüchen und dem Einsatz des Militärs. Aber dieser Kampf muss dann eben geführt werden.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. Bluesky: @berndpickert.bsky.social In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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